Kurz angemerkt von Umweltanwalt DI Dr. Martin Donat
23. März 2023
„Die Natur ist uns fremd geworden“ – titelt unlängst ein Kommentar, der nach einer „Neuen Aufklärung“ ruft, in deren Zentrum Ökologie und Fürsorge stehen. Und tatsächlich ist die von der Aufklärung propagierte, geordnete, „zivilisierte“ Natur eine zwar längst überholte, aber immer noch tief verankerte Sichtweise. Die Wiese, der Wald, sogar die Wegböschung müssen „sauber“ sein – sprich gepflegt-abgeschleckt. Krönung dieser Ordnungsliebe, die an Ordnungszwang grenzt, und Symbol für Konformismus ist der Mähroboter, der gnadenlos alles Überständige und Unkontrollierte köpft.

(Quelle: Oö. Umweltanwaltschaft)
Alles Wilde – vom Wildwuchs bis zum Wildtier (sofern nicht ins Kuscheltierschema passend) – erzeugt Unwohlsein bis Ablehnung. Ereignisse abseits des Regulären sind Katastrophen – nicht nur tatsächliche, sondern auch vermeintliche. Menschlicher Fortschritt wird auf technologische Innovation und Urbanisierung reduziert. Und doch ist ein Rest Sehnsucht nach der Natur als der „ganz anderen Realität“ noch da, und sei es nur als Teil eines Abenteuerurlaubs weit weg von der alltäglichen geordneten Realität, als Plakathintergrund in einer Wahlbewegung, als Balkongarten oder als Bildtapete oder begrünter Wand im Eingangsbereich zu einem Bürogebäude. Wildnis steht im Kontrast zur „modernen Zivilisation“ und verspricht „Freiheitserfahrungen“ - eine der wesentlichen Motivationen, die Wildnis aufzusuchen oder sie im Naturschutz als Leitbild zu formulieren.
Das Streben der Aufklärung nach Freiheit und Vernunft und danach, den Verstand zu gebrauchen und sich so aus der eigenen Unfreiheit zu befreien, bleiben unbestrittene Ziele, es bedeutet aber auch, dass wir weder in die Sackgasse der religiös angehauchten Natur-Mystifizierung noch in die Sackgasse der quasi-religiös angehauchten Natur-Technifizierung tappen. Die Natur ist die Matrix, in der unsere Gesellschaften und unser Wirtschaften eingebettet sind. Das Wilde, Unkontrollierbare ist Teil davon. Sich mit dieser Seite unserer Wirklichkeit (wieder) etwas anzufreunden, ist also Gebot der Stunde.
Vorsätze sind üblicherweise etwas für den Jahreswechsel. Der Beginn der Wachstumsperiode könnte Anlass für den Vorsatz sein, mit „etwas Wildnis“ leben zu versuchen. Die Entscheidung für pflegearme, extensive, aber blütenreiche (Rest-)Flächen statt einem Steingarten mit Folienabdeckung und Steinsplitt-Schicht. Ein „wildes Eck“ (Gstetten) im Garten oder im Betrieb, wo der „Pflegetrieb“ beschränkt, vielleicht sogar für ein Jahr ausgesetzt wird und etwas Totholz liegt. Ein Waldstück, in dem auch Totholz liegen oder sogar – wo problemlos möglich – auch stehen kann. Eine Wiesenfläche mit Mosaikmahd – also übers Jahr erst fleckerlweise mähen. Eine ernsthafte, nicht-Angst-gesteuerte Auseinandersetzung damit, wie gefährlich der Wolf bei uns wirklich ist. Bei Freizeitaktivitäten der Gedanke daran, wie verhalte ich mich richtig in der freien Natur und muss ich wirklich überall hin zu jeder Zeit.
Abstand lassen! Sein lassen! Eine Herangehensweise, die nicht ohne Wirkung bleibt: In der Corona-Zeit hat das Ausbleiben der Kabinenschifffahrt auf der Donau und der generell geringere Schifffahrtsbetrieb dazu geführt, dass die junge Fischbrut auf Grund des Ausbleibens des wiederholten Tsunami-artigen Wellenschlags weit besser aufkam als in „Normalzeiten“. Und das Muster lässt sich auch auf andere Lebensräume und Arten übertragen, von den Wildruhezonen bis zu den unbeleuchteten Nachtruhezonen.
Abstand lassen! Sein lassen! Etwas Wildnis ertragen!